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Torsten Blume im Leo-Gespräch
Torsten Blume im Leo-Gespräch

Historische Zukunftsvisionen und neue Perspektiven

Veröffentlicht am Donnerstag, 28. April 2016

Ab 4. Mai heißt es im Dessauer Bauhaus „Große Pläne! Moderne Typen, Fantasten und Erfinder. Die Angewandte Moderne in Sachsen-Anhalt 1919-1933.“. Verschiedene Ausstellungen in Halle, Magdeburg, Merseburg, Leuna, Elbingerode und Quedlinburg laden zur Erkundung eines fast vergessenen Kapitels der Landesgeschichte ein. Initiiert wurde das Ausstellungsprojekt durch die Stiftung Bauhaus Dessau, deren zentrale Ausstellung im Bauhausgebäude idealerweise als Ausgangspunkt für die Entdeckungsreise durch die Geschichte dienen soll. Werke von rund 120 Personen – Gestaltern, Forschern und Künstlern gleichermaßen – werden zu sehen sein. Und noch vieles mehr, wie Ausstellungskurator Torsten Blume im LEO-Gespräch verrät.

Am 4. Mai wird die Ausstellung „Große Pläne“ eröffnet. Wie entstand die Idee zu diesem Projekt?
Torsten Blume: Nicht als Projektidee, aber als Bewusstsein gibt es das hier unter meinen Kollegen im Haus schon lange – das man einfach einmal erzählen müsste, dass das Bauhaus ja nicht zufällig nach Dessau gekommen ist. Dass das Bauhaus hier in eine besondere Verwirklichungsphase in seiner Geschichte getreten ist, hat den Grund, dass man mit Dessau eben in eine aufstrebende, damals hochmoderne Industrieregion gezogen und bewusst geholt worden ist. Dessau brauchte das Bauhaus auch. Die alte Residenzstadt stand vor der Frage, wie sie den Wandel gestalten kann. Wenn man zu einer kulturellen Industriestadt werden will, braucht man eine Hochschule und eine ganz andere Art von Impulsen.
Das Bauhaus war aber nur Teil einer regionalen Entwicklung. Es war nicht die erste Institution, die die Moderne in die Region gebracht hat, die heute Sachsen-Anhalt ist und damals ein Gebilde aus der Provinz Sachsen und dem Land Anhalt war. Ähnliches findet sich auch in Halle, Merseburg und Magdeburg, wo es zum Teil schon früher begann. Es ist also ein Aufbruch in die Moderne, der heute leider in Vergessenheit geraten ist, weil andere Dinge wichtiger waren.
„Große Pläne“ war ursprünglich der Name eines Kapitels, das sich der Gründung Sachsen-Anhalts als Industrieprovinz widmen sollte. Der Titel soll aber auch den utopischen Mehrwert, der in diesen Projekten steckt, transportieren. Aber gleichzeitig auch das Gebrochene, das jeder große Plan in sich trägt. Man wird in der Ausstellung auch sehen, dass diese großen Pläne, mit denen die Künstler, Architekten und Phantasten hierhergekommen sind, sich nur auf den ersten Blick mit den Projekten der Industrie und Politik harmonisieren ließen. Schon bald stellte man fest, dass diese doch andere Ziele haben. Gleichwohl gab es doch in glücklichen Momenten Ergebnisse, für die das Bauhausgebäude ja auch ein Beispiel ist. Auch ganz viele Artefakte können von dieser Hoffnung auf etwas Neues, Besseres, erzählen.

Was wird es in Dessau ansonsten zu sehen und zu erleben geben?
Torsten Blume: Die Dessauer Ausstellung ist sozusagen eine zentrale Ausstellung und soll auf den ganzen Ausstellungskomplex im ganzen Land neugierig machen. Unter dem Titel „Moderne Typen, Phantasten und Erfinder“ wollen wir die Geschichte anhand ausgewählter, exemplarischer Protagonisten in vier Kapiteln zu erzählen. Wir zeigen einerseits die Entwicklung der Landesplanung, des Siedlungs- und Wohnungsbaus, zum Beispiel mit Luftbildern, Planskizzen, Architekturmodellen, auch Bildern und Gemälden. Andererseits geht es vor allem um technische Phantasie, also darum, wie die Technik damals die Phantasie künstlerisch und kulturell stimuliert hat. Wir zeigen das unter anderem am Beispiel der Raketenpioniere. Kosmos und Weltraumflug verbindet man im Allgemeinen nicht mit den 20er Jahren, aber in der Nähe von Magdeburg startete beispielsweise die erste Flüssigkeitsrakete Europas. Es gab ein deutschlandweites Netzwerk der Raketenforscher, das hier seinen Ankerplatz hatte.
Es hat natürlich auch einen Gegenwartsbezug. Hintergrund war die Überlegung, wie sich das Land in Vorbereitung des 100. Bauhausjubiläums einbringen kann. Die Ausstellung soll so etwas wie den Prolog des Jubiläums darstellen, auch im Hinblick auf das Bauhausmuseum. Dadurch hat sich auch eine der tollsten Erfahrungen ergeben: wir arbeiten hierfür mit Institutionen im ganzen Land eng zusammen, mit denen wir wahrscheinlich schon viel früher hätten zusammenarbeiten sollen. Daraus ist eine Kooperation entstanden, die noch bis mindestens 2019 so weitergehen wird. Wir haben so viele Themen angerissen, die wir in der Ausstellung gar nicht erzählen können. Die Ausstellung ist zu einem Türöffner geworden – und das soll sie auch für den Besucher sein. Sie will Perspektiven eröffnen.

Für Besucher schlagen Sie fünf verschiedene Reiserouten vor. Was hat es damit auf sich?
Torsten Blume: Das sind ein paar Vorschläge, wie man als Besucher das Ausstellungsprojekt er-leben kann.
Die Ausstellung im Bauhaus ist die Überblicksausstellung, deren Themen in den Ausstellungen der Verbundpartner vertieft werden. Unsere Vorschläge für Reiserouten orientieren sich an den Ausstellungskapiteln, so dass Besucher, die sich für z.B. Höhenflüge interessieren, gleich alle Ausstellungen zu dem Thema parat haben.
Jeder, der ein Smartphone hat, findet natürlich auch selbst heraus, wie er von hier nach Magdeburg kommt. Aber es kann nicht schaden, den Besuchern zu erklären, dass alle Orte relativ nah beieinanderliegen. Und wir wollen natürlich zeigen, dass dort überall etwas Schönes und interessantes zu sehen ist. Wir machen die Reisen auch selbst alle, sie sind also geprüft und realistisch. Aber es sind selbstverständlich nicht die einzig möglichen. Neben dem zentralen Ausstellungsort im Bauhaus und der Sonderausstellung im Technikmuseum sind auch noch sechs weitere Städte beteiligt. Wie wurde dieses Großprojekt organisiert? Torsten Blume: Wir sind sehr früh auf die Leute zugegangen, haben die Ideen besprochen und das Projekt dann gemeinsam entwickelt. Tatsächlich waren alle sehr angetan, teilweise auch regelrecht begeistert, sich daran zu beteiligen. All diese Ausstellungen vertiefen bestimmte Aspekte, die wir hier in Dessau anreißen. Wir haben uns gegenseitig beraten, wir brauchen auch das Wissen der anderen Kuratoren, auch für unsere eigene Ausstellung. Ich glaube, wir ergänzen uns gut.
Und ich glaube auch, dass die gute Atmosphäre, die zwischen den Partnern entsteht, sich am Ende auch den Besuchern vermittelt und ein angenehmes Aufenthaltsgefühl gibt. Dass ein bisschen von der Freude, die wir bei der ganzen Geschichte haben, am Ende auch sichtbar wird.
Auch zeitgenössische Aspekte werden bei der Ausstellung eine Rolle spielen. Wir haben junge Künstler, die das Umfeld gestalten. An den Strecken vom Bahnhof und von den Meisterhäusern zum Bauhaus werden Signalskulpturen aufgestellt. Die Ausstellung soll schon draußen beginnen. Das Ausstellungsgestalterteam „umschichten“ aus Stuttgart arbeitet gemeinsam mit uns und Materialien von Firmen aus der Region wie Kubra, die ein Partner von Rehau sind, deren recycelbaren Schächte eine wesentliche Rolle in der Ausstellungsarchitektur spielen und auch die Aluwerke Hettstedt unterstützen uns, holt die Industriegeschichte also in die Gegenwart. Gleichzeitig wollen wir nachhaltig arbeiten, es soll also keinen Müll geben. Die Materialien werden nur geliehen, nach der Ausstellung geht alles zurück in den Produktionsfluss. Es ist auch interessant, dass dadurch solche Verbindungen zu Industriebetrieben entstehen. Die waren ganz begeistert davon. Das sind Unternehmen, die in die ganze Welt liefern, aber hatten noch nie eine Kooperation in ihrer eigenen Stadt.

Dass das Bauhaus und Junkers sich sehr nahe standen ist bekannt. Gab es auch unter den anderen kreativen Köpfen Kontakte, vielleicht sogar Netzwerke?
Torsten Blume: Die gab es auf jeden Fall über die Burg Giebichenstein, an der ehemalige Bauhausstudenten unterrichteten, umgekehrt genauso. Es gab Künstlernetzwerke, Architektennetzwerke aber auch wissenschaftliche Netzwerke wie bei den Raketenpionieren. Man hat sich aber natürlich nie als auf Sachsen-Anhalt begrenzt betrachtet, man war eben Teil einer Szene und fuhr auch gemeinsam zu Kongressen oder Ausstellungen. Es gab auch jede Menge Freundschaften und Liebesbeziehungen. Insgesamt ergibt sich dadurch für uns ein neuer Blick auf das Bauhaus. Es ist als internationaler Ort bekannt, man kennt die Ausstrahlung in alle Welt. Aber die Relationen in der unmittelbaren Nachbarschaft wurden wahrscheinlich immer als zu provinziell, zu unwichtig wahrgenommen. Aber sie waren nicht unwichtig, sondern strahlten genauso national und international aus.

Warum waren gerade die Jahre 1919 bis 1933 in Sachsen-Anhalt so ideen- und erfindungsreich? Torsten Blume: Es war die Zeit nach dem Kaiserreich und die erste deutsche Demokratie. Es gab neue politische Voraussetzungen, neue Politiker, die erstmals in einer Leitungsfunktion waren, auch in den Städten. Das hat an sich schon eine Dynamik erzeugt. Die Umstellung einer Kriegs- auf die Zivilwirtschaft, die große Erleichterung, dass der Krieg vorbei ist. Und es ist die Phase, in der erstmals eine echte industrielle Gesellschaft entstand, in der viele technische Erfindungen wie Radio, Kino, Foto in den Alltag der Menschen gekommen sind, als Konsumprodukte. Hinzu kamen soziale Errungenschaften, zum Beispiel der 8-Stunden-Tag, also ein Gewinn an Freizeit. Viele Menschen entwickelten ein neues Selbstbewusstsein, eine Befreiung von Konventionen und die Chance, sich neu zu erfinden und auszuprobieren. So intensiv, wie es für die „Goldenen Zwanziger“ beispielsweise in Berlin beschrieben wird, passierte es hier in Sachsen-Anhalt zwar nicht, weil es keine Metropolregion war. Aber doch hat sich das Bewusstsein für das Neue auch hier stark entwickelt – und Berlin war ja nicht weit weg. Es war also ein ganz besonderer historischer Moment.
Die Menschen waren aber nicht so naiv, dass sie dachten, mit Technik alles lösen zu können. Sie haben nur die neuen Möglichkeiten gesehen, die sich ihnen geboten haben und waren sich der Konflikte, die diese neue Gesellschaft mit sich bringt, sehr bewusst. Aber an der Industrie kam man einfach nicht vorbei, sie prägte den Alltag und das Leben. Damit musste man sich auseinandersetzen.

Welchen Stellenwert hat die Ausstellung in Vorbereitung des Bauhausgeburtstages 2019? Torsten Blume: Das diskutieren wir hier im Haus noch, aber aus meiner Sicht eröffnet es einen neuen Blick auf die Dessauer Bauhausgeschichte. Einen Blick auf die Frage, welchen Bezug das Bauhaus zu seiner Umgebung hatte, nicht nur in Dessau sondern darüber hinaus. In der zweiten Ebene ist es, auch für die Art und Weise, wie sich das ganze Bundesland 2019 beteiligen und Energie gewinnen kann, ein gutes Experimentierfeld. Nicht nur touristisch, auch inhaltlich und für das eigene Selbstverständnis. Es gibt jetzt schon viele Ideen, die in den Diskussionen und in der Vorbereitung entstanden sind. Ich sehe es also als ein Projekt, das Perspektiven schafft – und so ist es eigentlich auch gedacht.

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