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Jan Henric Bogen (links) und Gerhard KämpfeLEO Glücksmoment
Jan Henric Bogen (links) und Gerhard Kämpfe© Hartmut Bösener

"Die Dessauer haben Weill-Blut in ihren Adern"

Veröffentlicht am Montag, 28. Januar 2019

Am Vorabend des 119. Geburtstages des Komponisten Kurt Weill beginnt am 1. März das 27. Dessauer Kurt Weill Fest. Fast 50 Veranstaltungen in Dessau-Roßlau und ganz Sachsen-Anhalt werden den Werken des Künstlers bis zum 17. März gewidmet sein. Das Festivalmotto „Mut zur Erneuerung“ nimmt unter anderem Bezug auf das 100-jährige Gründungsjubiläum des Bauhauses, die Geburtsstunde der Moderne, die sich auch in einigen programmatischen Schwerpunkten wiederspiegelt. Die künstlerische Leitung hat erneut das vierköpfige Intendanzteam aus Johannes Weigand und Markus L. Frank, dem Generalintendanten und dem Generalmusikdirektor des Anhaltischen Theaters, dem renommierten Weill-Experten Jürgen Schebera und dem Kulturmanager Gerhard Kämpfe übernommen.

Als das Quartett im Februar 2017 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, war es nach dem, aus persönlichen Gründen erfolgten, frühzeitigen Abschied seines Vorgängers Michael Kaufmann als Übergangslösung angetreten. Dass es sich dabei aber keinesfalls um einen Kompromiss oder gar eine „Notlösung“ handelte, bewiesen sie auch den größten Zweiflern zwölf Monate später eindrucksvoll. Das Kurt Weill Fest 2018 stellte mit über 20.000 Gästen einen neuen Besucherrekord auf, Publikum und Kritik waren gleichermaßen begeistert.

Dass das Team nun noch einmal das Programm gestaltet hat, war daher mehr als naheliegend. Zumal die Chemie unter den kreativen Köpfen ganz offensichtlich stimmt. 2020 wird das Team dennoch vom neuen Intendanten des Kurt Weill Festes abgelöst. Und auch die Übergabe des Staffelstabes an den Musikwissenschaftler Jan Henric Bogen scheint sich äußerst konstruktiv zu gestalten. Kurz vor dem LEO-Gespräch mit Gerhard Kämpfe, von seinen drei Kollegen als Gleicher unter Gleichen zum Sprecher auserkoren, hatte sich dieser mit seinem Nachfolger zum Austausch getroffen. Dass Bogen sich wenig später in einem Interview wiederfinden würde, war für alle Beteiligten eine Überraschung. Aber eine durchweg positive.

Herr Kämpfe, Sie werden mit Ihren Kollegen nun sozusagen zum „Wiederholungstäter“. Was bedeutet Ihnen das?

Gerhard Kämpfe: Ich gebe zu, dass ich mich wahnsinnig gefreut habe, als es die zweite Chance gab. Natürlich haben wir die Messlatte gemeinsam ziemlich hoch gelegt. Die gilt es jetzt, zu überspringen. Aber es war unglaublich spannend, sich mit Kurt Weill so intensiv zu beschäftigen. Und vor allen Dingen, auch die Zeit um Kurt Weill zu betrachten. Das, was in den 20er und 30er Jahren und natürlich später auch in New York passiert ist, alles in einem Bogen zusammenzubringen, war sehr reizvoll. Und ich bin heilfroh, dass ich die drei Kollegen an meiner Seite hatte. Denn erstens war es eine extrem uneitle Zusammenarbeit, zweitens hat jeder von uns Vieren eine andere Qualität, die er eingebracht hat. Ich glaube, das hat auch den Erfolg ausgemacht. Man sagt ja, viele Köche verderben den Brei. Hier ist mal der Gegenbeweis angetreten.

Steht das Festivalmotto „Mut zur Erneuerung“ nur stellvertretend für den Aufbruch in eine neue Zeit, der durch das Bauhaus-Jubiläum symbolisiert wird? Oder gehört zu einem erfolgreichen Festival auch, dass es sich immer ein wenig neu erfindet?

Gerhard Kämpfe: Ich denke, beides stimmt. „Mut zur Erneuerung“ ist auf der einen Seite eine historische Betrachtung. Gleichzeitig ist es auch ein Credo für das Festival. Aber ich denke auch, wenn man gesellschaftlich denkt, ist der Mut zur Erneuerung jederzeit gefragt. Denn wir leben in einer Zeit, wo gerade in der jüngeren Generation das Gefühl aufgekommen ist, so wie wir leben sei der Status Quo. Der ist eisern und der bleibt auch so. Das ist ein schwerwiegender Fehler. Wir bewegen uns auf sehr dünnem Eis und ich denke, es ist gut, ständig darüber nachzudenken, wie man erneuern und was man verbessern kann. Und wie man das, was wir bisher gesellschaftlich in diesem Land erreicht haben, auch erhalten kann. Gerade in Zeiten wie diesen erscheint mir das besonders wichtig.

Katja Riemann, Helen Schneider, Katharina Thalbach, Nils Landgren, Ute Lemper als Artist-in-Residence, dazu viele weitere namhafte Künstler und Ensembles – das Staraufgebot ist in diesem Jahr erneut riesig. Worauf freuen Sie sich persönlich am meisten?

Gerhard Kämpfe: Das ist ungefähr so, als ob Sie einen Vater fragen, welches seiner Kinder er am meisten liebt. (lacht) Die Auftritte von Katharina Thalbach und Katja Riemann werden ganz sicher sehr spannend. Aber auch die Eröffnung mit „Wanted“ wird ein Highlight. Das haben wir dem Kollegen Jürgen Schebera zu verdanken, der sich die Revue in Prag angesehen hat und mit einem solchen Enthusiasmus zurückkam, dass er uns schnell überzeugt hatte. Es war nicht ganz leicht, weil es technisch nicht unkompliziert ist. Finanziell auch nicht. Aber da ich ja nicht nur künstlerisch tätig bin, sondern auch immer wieder gezwungen bin, Gagen und ähnliches zu verhandeln, ist es uns im Kollektiv gelungen, denen zu erklären, dass es auch für sie toll ist, die Revue hier zu zeigen. Und andererseits hier die finanziellen und technischen Möglichkeiten zu schaffen. Bei letzterem spielt wiederum das Haus eine große Rolle.

Ich bin heilfroh, dass wir in diesem Theater arbeiten können. Denn ich habe schon im vorigen Jahr feststellen dürfen, dass nicht nur die Spitze begeistert dabei ist, sondern auch die technische Leitung und alle Mitarbeiter an einem Strang ziehen – und auch alle am selben Ende. (lacht) Das macht viel Spaß und nur deswegen ist es auch möglich, dass wir so komplizierte Geschichten mit kurzer Aufbauzeit dort als Eröffnung machen können.

Es ist in gewisser Weise schon eine Weill-Fest-Tradition, dass viele Veranstaltungen innerhalb kürzester Zeit ausverkauft waren. Sind bei so begehrten Programmpunkten Zusatzvorstellungen keine Option?

Gerhard Kämpfe: Das haben wir natürlich überlegt. Helen Schneider zum Beispiel war im Nu ausverkauft. Das Problem ist nur, dass sie am Tag davor und am Tag danach schon andere Engagements hat. Und an einem Wochentag eine Nachmittagsveranstaltung zu machen, haben wir uns dann doch nicht getraut. In Hamburg sagt man „Wat den Een sin Uhl, is den Annern sin Nachtigall“, es ist also immer eine Frage der Perspektive.

Natürlich ist es für den Fan, der gerne kommen würde, schlecht, wenn er keine Karte mehr bekommt. Vielleicht hat er Glück, jemand wir krank und er rückt auf der Warteliste nach. Andererseits freuen wir uns natürlich, dass das, was wir uns da gemeinsam ausgedacht haben, ganz offensichtlich den gewünschten Anklang beim Publikum findet.

Nach dem diesjährigen Kurt Weill Fest übergeben Sie die Intendanz an Jan Henric Bogen. Bedeutet der Abschied von der künstlerischen Leitung auch einen Abschied vom Weill Fest an sich? Und was nehmen Sie sich an Erfahrungen und Erinnerungen mit nach Berlin?

Gerhard Kämpfe: Erst einmal muss ich sagen, dass ich eines festgestellt habe: Die Dessauer haben wirklich Weill-Blut in ihren Adern. Es ist eine unheimlich schöne Erfahrung, dass eine Stadt einen ihrer großen Söhne so ehrt. Insofern ist das diesjährige Festival für mich keine Abschiedsveranstaltung, sondern ich freue mich wahnsinnig darauf, wenn ich dann das nächste Festival von Herrn Bogen als Besucher sehe. Wir haben uns natürlich auch unterhalten und ich kann noch nichts verraten – das muss er schon machen – aber was er da vor hat klingt hoch-spannend. Ich freue mich sehr auf 2020, wenn ich das Fest dann sozusagen befreit von Sturm und Eis als Zuschauer erleben kann.

Wir haben aber auch verabredet, dass ich jederzeit zur Verfügung stehe, wenn Bedarf ist. Zu dem einen oder anderen Künstler hat man ja eine ganz persönliche Beziehung und muss nicht über 37 Agenturen gehen. Herr Bogen hat zwar selbst tolle Kontakte, weil er ein großer Theatermann ist, aber wenn da Hilfe nötig ist, bin ich sofort dabei. Denn ich gebe zu, in dieser kurzen Zeit sind mir das Festival und die Stadt schon sehr ans Herz gewachsen.

Herr Bogen, was reizt Sie an der neuen Aufgabe als Intendant des Kurt Weill Festes?

Jan Henric Bogen: Kurt Weill ist einfach eine ganz große Inspirationsquelle für mich. Weil er aus einer Zeit kommt, in der wahnsinnig viel passiert ist. Weil er als Figur in diese Zeit irgendwie nie so richtig einzuordnen war. Dadurch habe ich mich mehr und mehr mit Dessau und Sachsen-Anhalt beschäftigt und feststellt, dass ich ganz vieles noch nicht weiß. So etwas finde ich immer sehr spannend. • Also habe ich mich ganz, ich nenne es mal nassforsch, auf meine erste Intendanz beworben.

Das ist für mich auch deshalb so spannend, weil man sich normalerweise sehr schnell zu allem eine Meinung bildet, das man nicht selbst zu verantworten hat. Jetzt trage ich zum ersten Mal die Verantwortung für eine künstlerische Programmserie, für ein Festival. Das muss man mit Leben füllen und dem stehe ich mit großem Respekt aber auch großer Spannung gegenüber. Ich freue mich sehr darauf.

Was haben Sie bisher vom Kurt Weill Fest erlebt?

Jan Henric Bogen: Ich muss ehrlich zugeben, dass ich bisher noch nicht beim Fest war, das will ich 2019 umso intensiver nachholen. Ich habe aber immer sehr viel gutes gehört. Und das Kurt Weill Fest als Marke – wenn ich es einmal so marketing-mäßig darstellen darf – ist einfach wahnsinnig stark. Jeder, den ich darauf angesprochen habe, kennt es und weiß, dass es eben viel mehr ist als nur das Rauf- und Runterspielen der Werke des Namensgebers. Das ist nicht despektierlich gemeint, aber dort werden eben auch wirklich inhaltliche Impulse gesetzt und es ist schon seit Jahren eine wirklich spannende Aufgabe.
Insofern bin ich meinen Vorgängern sehr dankbar, dass sie mir das Festival in einem so guten Zustand übergeben. Auf der anderen Seite ist es aber natürlich auch eine Herausforderung. Ein Telefonbuch, das so dick ist wie das von Herrn Kämpfe, muss man erst einmal haben, um so hochkarätige Künstler an den Start zu bekommen. Umso mehr freue ich mich natürlich, dass sich der Wechsel so freundlich und kooperativ gestaltet.

Natürlich wird man bei einer so erfolgreichen Veranstaltungsreihe nicht alles völlig neu aufstellen wollen und können. Aber was haben Sie sich für 2020 und die Folgejahre vorgenommen?

Jan Henric Bogen: Ich habe mir vorgenommen, dass ich weiterhin mit starken Mottos arbeite, unter denen man vieles fassen und auch neue Bezüge herstellen kann. Dabei will ich durchgehend mit Fragen arbeiten und keine Antworten vorgeben. Mein erstes Kurt Weill Fest wird 2020 daher unter der Frage stehen: „Was sind Grenzen?“.
Ich denke, dass das im 30. Jahr der Deutschen Einheit vielleicht eine ganz interessante Frage ist. Und in einer Zeit, in der wir Grenzen eher wieder aufbauen als einreißen, ist damit natürlich auch die Frage verbunden, wann uns Grenzen beschützen, wann sie uns einengen und was Ausgrenzung bedeutet. Und ich glaube, da ist Kurt Weill als Namensgeber perfekt geeignet.

Gerhard Kämpfe: Für den Intendanten, der ja auch künstlerisch tätig ist – und das kennen wir beide aus unseren Tätigkeiten – ist der schwere Spagat in diesem Geschäft der zwischen dem künstlerisch gewünschten und dem ökonomisch machbaren. Aber ich weiß von Herrn Bogen, dass er das in der Vergangenheit gut hinbekommen hat, weil er auf beiden Seiten zu Hause ist. Er ist ein Künstler, kennt sich aber auch mit der Administration aus. Das macht mich sehr froh.
Ich habe ihm auch schon gesagt, dass er hier ein tolles Team vor Ort hat, das wirklich bewundernswert ist. Angefangen mit Thomas Markworth als Präsident über den Geschäftsführer Joachim Landgraf bis hin zur Projektleiterin Constanze Mitter. Das muss ich noch einmal betonen. Er wird es erleben, ich habe es erlebt. So ein kleines Team stemmt eine Aufgabe, für die manchmal das vierfache Personal nötig wäre. Und das ist übrigens auch eine Erfahrung, die ich mit nach Berlin nehme. Jedes Mal nach Meetings hier bin ich einfach überwältigt, mit welchem Engagement diese Mannschaft für dieses Fest kämpft.

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