Die englische Göttin der Widersprüche
Veröffentlicht am Mittwoch, 25. Mai 2016
„Lady Hamilton. Eros und Attitüde“ ist der Titel einer Ausstellung, die am 4. Juni auf der Insel Stein feierlich eröffnet wird und ab 5. Juni im Schloss Wörlitz zu sehen ist. Im Mittelpunkt der Präsentation der Kulturstiftung Dessau Wörlitz steht mit Emma Lady Hamilton eine der faszinierendsten, aber auch umstrittensten, Persönlichkeiten des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die 1765 als Tochter eines Hufschmieds geborene Emma Hart wurde zu einer Stilikone ihrer Zeit, bewegte sich in den höchsten Kreisen von Diplomatie und Hochadel, sorgte mit ihrer Dreiecksbeziehung zum Botschafter Sir William Hamilton und dem Kriegshelden Lord Horatio Nelson aber auch für Empörung und Spott. Initiiert wurde die Ausstellung von Uwe Quilitzsch, seit 38 Jahren Mitarbeiter der Kulturstiftung – und fast genauso lange im Bann der Lady Hamilton.
Herr Quilitzsch, wer war diese Lady Hamilton überhaupt?
Uwe Quilitzsch: Emma Lady Hamilton war die vielleicht berühmteste Frau ihrer Epoche, noch vor Königinnen und Kaiserinnen, an die sich heute kaum noch ein Mensch erinnern kann. In der Zeit um 1800 war sie das Tagesgespräch in Städten und an Höfen und Residenzen. Das 19. Jahrhundert hat dann so ein wenig einen Mantel des Schweigens um die Lady gelegt. Dann wurde aus einer Frau, die es aus den untersten Schichten in die Oberschicht geschafft hatte, plötzlich so eine Art Prostituierte. Das liebte man im 19. Jahrhundert, das ja generell sehr frauenfeindlich war. Im 20. Jahrhundert wurde es dann wieder etwas aktiver um sie. Im 2. Weltkrieg wurde Lady Hamilton plötzlich zu einer nationalen Ikone, oder eher ihr Liebhaber. Es wurde der Film „That Hamilton Woman“ gedreht, an ihrer Seite der berühmte Lord Nelson, der gerade die Franzosen an der Nilmündung geschlagen hatte. Dieser Film wurde als Propagandafilm genutzt, in dem die Franzosen stellvertretend für die Deutschen standen und richtig eins auf die Mütze bekamen. Winston Churchill soll sich den Film über 80 Mal angesehen haben.
In Deutschland ist Lady Hamilton fast nicht bekannt. Das ist schade, denn sie hatte ein kurzes Intermezzo in Deutschland, nämlich als ihre Zeit am Golf von Neapel als Botschaftergattin und als Liebhaberin von Horatio Nelson 1800 zu Ende war. Die beiden Herren wurden zurück nach London beordert. Und wie es für Lord Nelson typisch war, „verstand“ er die Befehle nicht. Er hätte per Schiff zurückreisen sollen, war aber schon auf dem Landweg unterwegs. So nähern sie sich London über Venedig, Wien und Prag, in Dresden berühren sie erstmals deutschen Boden. Während die Herren am Hofe empfangen werden, tröstet sich Emma, die schwanger von Nelson, aber als Tochter eines Schmiedes nicht willkommen ist, mit Champagner. Im Oktober 1800 geht es mit einem Elbkahn nach Wittenberg. Dort übernachten die Drei und fahren dann am Gartenreich vorbei, vielleicht, ohne es zu wissen. Auch in Vockerode machen sie Station, dort soll es ein Frühstück gegeben haben.
Wie sehr ist Lady Hamilton eine Symbolfigur ihrer Zeit?
Uwe Quilitzsch: Emma ist ein musisch begabtes Mädchen. Als sie mit ihrer Mutter im Alter von 12 oder 13 Jahren nach London kommt, interessiert sie sich für Theater und kann in kürzester Zeit die berühmtesten Rollen nachspielen. Sie kann das so gut, dass das blutjunge Mädchen für die Männerwelt interessant wird. Sie sieht toll aus, kann gut posieren und wird durch einen Liebhaber aus ihren ärmlichen Verhältnissen befreit. Als sie jedoch schwanger wird, verstößt er sie und sie fällt sofort in die offenen Arme des nächsten Mannes. Das tolle Leben geht also weiter, sie kommt in Künstlerkreise. George Romney, einer der bekanntesten Porträtmaler Englands, wird auf sie aufmerksam. Für ihn wird sie zur Muse, er hat keine Beziehung mit ihr, aber er malt sie in unzähligen Posen, meist nach antiken Skulpturen oder Wandmalereien. So wird sie quasi zu einer Art Stilikone ihrer Zeit und hat einen gewissen Ruf in Londoner Männerkreisen. Emma tritt mit einem großen Schleier aus Kaschmirwolle auf. Damit schafft sie es, sich innerhalb von Sekunden in eine andere Gestalt zu verwandeln. Das verblüfft die Menschen. Sie ist nicht die Erfinderin der lebenden Bilder, der Attitüden, aber sie ist die vielleicht perfekteste Akteurin auf diesem Gebiet. Als Emma erneut verstoßen wird, landet sie schließlich bei Sir William Hamilton in Neapel. Dieser ordnet sie, inzwischen 21-jährig, als lebende Skulptur in seine Sammlung ein. Erst nach Monaten wird ihm bewusst, dass hinter dieser Figur auch eine brillante, wunderschöne Frau steckt. Emma ziert sich anfangs sehr, aber die Herzen finden schließlich zueinander. In Hamilton‘s Villa in Neapel treffen sich die gebildetsten Geister Europas, sie besuchen seine Kunstsammlung, sehen Emma und sind begeistert, sogar Johann Wolfgang von Goethe findet die junge Frau bemerkenswert. Emma singt, sie stellt Posen, sie kann musizieren und damit die gebildete Oberschicht gut unterhalten. Nicht alle finden sie toll, Herder nannte sie zum Beispiel „die Hure von Hamilton“ und ihre Talente „Affenkunst“. Aber insgesamt fasziniert diese junge Frau die Welt, auch wenn sie für die Oberschicht immer „die vom Schmied“ bleibt. Das will Sir William eines Tages ändern, indem er sie heiratet.
Zum Einen war Emma Lady Hamilton also eine sehr musische Frau, zum Anderen kommt sie aber auch plötzlich in den Bereich der Weltpolitik und spielt dort eine gewichtige Rolle als Mittlerin.
Was verbindet das Gartenreich Dessau Wörlitz mit der Lady?
Uwe Quilitzsch: Im Jahr 1765 steigt Fürst Franz in die Kutsche und beginnt seine Grand Tour. In Neapel lernt er Sir William Hamilton kennen, der gerade ein oder zwei Jahre Botschafter ist. Fürst Franz bleibt mit Sir William sein Leben lang in Kontakt. Wie tief die Impression von Neapel für den Fürsten gewesen sein muss, sieht man daran, dass er 22 Jahre später auf die Idee kommt, dass dem Wörlitzer Park eigentlich noch der Golf von Neapel fehlt, mit dem Vesuv natürlich. Und an dessen Fuße steht unsere Villa Hamilton. Auf einer Landzunge am Golf von Neapel gibt es eine Villa Emma, die einmal genauso aussah. Während das Wörlitzer Gebäude heute in einem perfekten Zustand ist, gibt es von der Villa Emma leider heute nur noch klägliche Reste. Wir haben also die Hamilton-Verbindung, wir haben den Vesuv, wir haben die Villa.
Erdmansdorff hat Emma während seines zweiten Besuches in Neapel gesehen und war total entzückt von ihr. 1794 erscheint von Friedrich Rehberg eine Folge von zwölf Ansichten Emmas in unterschiedlichen Attitüden. Rehberg war zehn Jahre zuvor Zeichenlehrer am Philanthropinum in Dessau. Seine Zeichnungen werden reproduziert, veröffentlicht, in Deutschland mit einem Raunen in der Menge bekannt und erscheinen zehn Jahre später mit einem deutschen Begleittext in Leipzig. In der Bibliothek des Fürsten im Gotischen Haus hat es diese Ausgabe gegeben. Es gibt in Deutschland keinen anderen Ort, der so intensiv mit dem Leben dieser Lady verbunden ist. Und sie ist tatsächlich Weltgeschichte und Weltkultur, sie war in aller Munde, sei es nun als „Hure“ oder als Stilikone.
Mit der Ausstellung stellt die Kulturstiftung DessauWörlitz Lady Hamilton erstmals so intensiv in den Mittelpunkt. Warum gerade jetzt – und warum nicht schon früher?
Uwe Quilitzsch: Solche Ereignisse brauchen Anlässe. Als ich vor knapp 38 Jahren meinen ersten Arbeitstag in Wörlitz absolvierte, war das schicksalhaft – die Insel Stein mit der Villa Hamilton. 1978 war noch tiefste DDR, aber man wird als junger Mensch natürlich stutzig, was es mit diesem Hamilton und dem Vulkan auf sich hat. Italien war für uns ja jenseits aller Vorstellungskraft. So arbeitet man sich als DDR-Mensch eben schrittweise heran, malt sich aus, wie es hinter der Mauer aussieht. Dann kam die Wende, da war ich schon wieder auf dem Stein. Zum Ende der DDR war er ja beinahe eine Totalruine. 1995 wurde der Stein untersucht und beplant. Das war ein Riesenvorhaben und dauerte fünf Jahre. Ab 2000 wurde gearbeitet, 2005 wurde der Stein mit dem Vulkanausbruch wiedereröffnet. Schon seit 2005 schleppte ich auch die Idee mit mir herum, dass Emma 2015 ihren 250. Geburtstag hat. Ich konnte erfolgreich eine Initiative der Kulturstiftung anregen, zu diesem Geburtstag eine Ausstellung mit und in der Casa die Goethe in Rom zu gestalten. Jetzt, ein Jahr später, kommt Emma nun als Gast zu uns nach Wörlitz.
Was wird sich bei der Ausstellung im Vergleich zu Rom ändern und woher stammen die Exponate?
Uwe Quilitzsch: Die Casa ist räumlich relativ beschränkt, wir dehnen uns von 65 m² auf mindestens das Doppelte aus. Es gibt wesentlich mehr Exponate, die teilweise noch nie der Öffentlichkeit gezeigt wurden. Wir bekommen vieles von renommierten Leihgebern wie der Klassikstiftung Weimar, dem Landesmuseum in Oldenburg und einigen privaten Sammlern.
Wie wird die Präsentation in Wörlitz umrahmt?
Uwe Quilitzsch: Die Ausstellungseröffnung selbst wird sehr interessant werden. Neben den Reden werden neapolitanische Lieder vorgetragen, die Emma durchaus auch selbst hätte darbieten können. Am 19. und 20. August wird auch der Vulkan in Wörlitz wieder ausbrechen. Davor gibt es noch ein Projekt, das leider auf jeweils 50 Gäste beschränkt ist. Mit Leipziger Musikern und einer Tänzerin versuchen wir, im Schloss Luisium an zwei Tagen die Attitüden der Emma zu rekonstruieren. Sie sind zwar in aller Munde, aber wie es tatsächlich zur Sache ging, ist bisher schwer zu sagen. Am 18. Juni um 19 Uhr gibt es die erste Vorstellung, die zweite Aufführung ist für den 17. September geplant. Unsere Fürstin Luise, Christel Ortmann, wird außerdem eine Lesung im Garten der Fürstin in Wörlitz halten. Es wird Sonderführungen durch die Ausstellung geben, auch ein museumspädagogisches Begleitprogramm bereiten wir vor. Wir sind also recht breit aufgestellt.
Jetzt muss sich nur noch ein Wunsch erfüllen: dass möglichst viele Besucher zu Emma kommen.