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"City"© Dirk Schmidt

"Die Verrohung der Sprache geht mir auf den Keks!"

Veröffentlicht am Mittwoch, 28. November 2018

Mit der Ballade „Am Fenster“ hat die Berliner Rockband „City“ vor über 40 Jahren einen Klassiker der gesamtdeutschen Musikgeschichte geschaffen, der seine Hörer bis heute tief berührt. Ihr Album „Casablanca“ wurde 1987 mit kritischen Texten zum Vorboten der friedlichen Revolution. 2017 feierten die Musiker den 45. Bandgeburtstag. Freunde klarer Worte sind sie bis heute ebenso geblieben wie Rocker aus Leidenschaft. Ihre aktuelle „Candlelight Tour“ soll aber auch Raum für die leiseren Töne lassen, wie Frontmann Toni Krahl im LEO-Gespräch verrät.

Wenn man „City“ hört, hat man sofort „Am Fenster“ im Kopf. Wann wurde Ihnen bewusst, dass Sie mit dem Titel etwas ganz besonderes geschaffen haben?

Toni Krahl: Als wir das gemacht haben, ist uns erstmal gar nichts bewusst gewesen. (lacht) „Am Fenster“ ist sozusagen in einer Bewusstseinsstörung entstanden. Damit will ich sagen, dass wir es eher nicht komponiert haben, sondern erspielt. Man hört dem Lied ja auch an, dass es viel Improvisation ist. Aber es hat sich dann eben tatsächlich in die Herzen der Menschen gefressen. Und dass das dann auch noch international abgegangen ist, war für uns ein ganz großes Rätsel. Vielleicht liegt es aber daran, dass darin auch sehr viel Balkan-Mentalität steckt, so dass es eben auch bis nach Griechenland geschwappt ist. Da spielt die Seele unseres Geigers eine ganz, ganz große Rolle. Georgi Gogow kommt aus Bulgarien und hat den Balkan einfach im Blut.

Gab es Momente, in denen Sie den Song nicht mehr hören bzw. singen wollten?

Toni Krahl: Nein, die gab es wirklich nicht. Es ist nicht so dass wir – ich glaube, da kann ich auch für meine Kollegen sprechen – uns unsere Musik privat anhören. Also, dass wir uns zu Hause „Am Fenster“ einlegen und dazu tanzen. (lacht) Aber wenn wir es live spielen, dann immer noch mit der gleichen Leidenschaft.

Sie waren immer auch ein politischer Mensch, der seine Meinung sagt. Darf und sollte man das als Musiker bzw. Künstler heute noch genauso tun? Und wie sehen Sie Deutschland und die Welt im ausklingenden Jahr 2018?

Toni Krahl: In der jetzigen Zeit darf man ja so ziemlich alles sagen. Ungestraft. Obwohl ich finde, bestimmte Dinge, die in Richtung Hetze gehen, sollten schon unter Strafe gestellt werden. Damit meine ich nicht berechtigte oder von mir aus auch unberechtigte Kritik an Sachen, die einem nicht passen. Das muss natürlich immer möglich sein. Aber die Verrohung der Sprache insbesondere in der politischen Auseinandersetzung geht mir unglaublich auf den Keks!

Als Künstler und Musiker in der DDR ist es natürlich leichter gewesen, anzuecken und aufzufallen. (lacht) Beziehungsweise war es leichter, in Konflikte zu geraten, als heute in unserer, ich sage jetzt mal ruhmreichen Demokratie. Heute darf man alles sagen, aber es wird einem kaum noch zugehört und man erregt damit keine Aufmerksamkeit. Das war in der DDR wirklich anders. Wenn wir eine Platte gemacht haben, insbesondere das „Casablanca“-Album, dann haben sich damit das Politbüro und Erich Honecker persönlich befasst und auseinandergesetzt. (lacht) Das findet heute nicht mehr statt.

Am 4. Januar sind Sie mit der „Candlelight Tour“ in Wittenberg. Rock und Romantik bei Kerzenschein wirken auf den ersten Blick widersprüchlich. Wie entstand die Idee – und was sagt das Publikum dazu?

Toni Krahl: Wir haben den Namen gewählt, weil es ja nicht wirklich ein Unplugged-Programm ist. Wir spielen aber immer in besonderen Locations, Kulturhäusern, Theatern oder Kirchen, wo die Leute sitzen können. Wir fangen pünktlich an. Die Leute müssen nicht auf einer nassen Wiese stehen, bis 22 Uhr warten und noch ein Vorprogramm über sich ergehen lassen. Und es kommen auch mal ein paar Balladen zu Ehren, die es sonst nicht ins Rockprogramm schaffen.

Zur Resonanz kann ich nur sagen, dass die Tour ganz deutlich in Richtung Total-Ausverkauf geht. Aufgrund der kleineren Locations mit beschränktem Kartenangebot ist es ja auch nicht ganz billig. Insofern kommen Leute, die wirklich großes Interesse haben und in der Regel musikalisch hoch gebildet sind. Das erwarten und merken wir auch. (lacht)

Weihnachten und Silvester stehen vor der Tür. Wie begeht „City“ die Feiertage?

Toni Krahl: Das macht jeder auf seine spezielle Art und Weise. Mal im kleinen Kreis, mal groß in Familie. Ich selbst werde mich nach Chemnitz verziehen. Da kommt meine Frau her und meine Schwiegermutter lebt dort. Und da werde ich dann bekocht und bedient und kann die Beine hochlegen. (lacht)

Sind Sie ein Mensch, der Neujahrvorsätze trifft? Was wünschen Sie sich für 2019 und darüber hinaus?

Toni Krahl: Mit den Neujahrsvorsätzen habe ich vor 30 Jahren aufgehört. Ich bin also immer noch Kettenraucher und habe aufgegeben, mir irgendwas vorzunehmen. Wenn der Arzt sagt „Jetzt ist aber Schluss!“, dann ist das der Impuls, auf den ich warte. (lacht) Dazu brauche ich nicht den 1. Januar.

Für die Zukunft wünsche ich mir für die Band und mich, dass wir alle gesund bleiben. Solange die Blutwerte stimmen, haben wir auch vor, weiterzuspielen. Und natürlich, dass uns das Publikum treu bleibt – aber darüber mache ich mir die wenigsten Sorgen. Persönlich wünsche ich mir auch, dass ich es in der glücklichen Familiensituation, in der ich mich gerade befinde, noch lange aushalte. Und vor allen Dingen, dass meine Lieben es mit mir aushalten, was vielleicht komplizierter ist. (lacht)

Ansonsten wünsche ich mir für die Allgemeinheit einen moderaten und freundlicheren Umgang miteinander.

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